Der EU kommt der Fleischskandal in Brasilien wie gerufen
- Details
- Zuletzt aktualisiert: Freitag, 24. März 2017 19:07
Erstens: Von den 21 Kühlhäusern, denen Unregelmässigkeiten vorgeworfen werden, dürfen überhaupt nur vier Produkte nach Europa exportieren. Etwa 20 Personen wurden bisher festgenommen. Das ist eine relativ kleine Zahl von schwarzen Schafen in diesem Milliarden-Dollar-Business. Sie sollen den Verkauf großer Mengen Gammelfleisch, das mit noch haltbarem Fleisch vermischt wurde, organisiert haben. Betroffen ist auch der weltweit größte Fleischproduzent JBS. Er kooperiert schon aus eigenem Interesse mit den Behörden. Auch 33 Lebensmittelkontrolleure wurden bisher entlassen. Wie das Agrarministerium mitteilte, wurden bisher drei Produktionsstätten geschlossen und 21 Betriebe unter Sonderbeobachtung gestellt. Auch das ist eine sehr geringe Zahl von schwarzen Schafen, denn in Brasilien gibt es insgesamt 4´837 Produktionsstätten, die den Export von Fleisch in über 160 Länder abwickeln. Der Export bringt dem Schwellenland jedes Jahr mehr als 14 Milliarden US-Dollar ein.
Zweitens: die Industriestaaten sehen das Wachstum der Landwirtschaft in Brasilien nicht gerne. Nach langen Diskussionen hatten auch die USA im Juli 2016 ihren Markt für brasilianisches Fleisch geöffnet. Es wird erwartet, dass die Regierung von Präsident Trump diesen Schritt bald rückgängig machen wird. Der Anlass dazu könnte dieser offensichtlich aufgebauschte Fleischskandal sein. Frankreich und anderen europäischen Ländern wollen nur widerstrebend den EU-Fleischmarkt für Länder im südamerikanischen Mercosur-Block öffnen. Zu diesen gehören neben den großen Exporteuren Brasilien und Argentinien gehören auch Paraguay und Uruguay. Brasilien ist auch ein wichtiger Exporteur in muslimische Länder. Das gilt auch für das kleine Uruguay, das zertifiziertes Rindfleisch aus islamkonformen Halal-Schlachtungen exportiert. Geschlachtet wird unter Aufsicht von muslimischen Fachleuten ohne Betäubung.
Am Dienstag trafen in Buenos Aires erstmals Delegationen der Europäischen Union und des Mercosur aufeinander. Sie wollen – nach vielen vergeblichen Versuchen – eine gemeinsame Freihandelszone aushandeln. Das Hauptinteresse der Südamerikaner ist die Öffnung Europas für ihre Agrarprodukte – eine der wenigen Branchen, in denen sie weltweit wettbewerbsfähig sind. Fleisch steht ganz oben auf der Wunschliste. Die Lobbys der Fleischproduzenten in den Absatzländern der brasilianischen Marktführer bekommen nun Aufwind: Abgeordnete und der Agrarminister Irlands verlangen einen umgehenden und permanenten Importstopp für brasilianisches Fleisch in Europa. Auch in Belgien und Finnland gibt es Druck auf Brüssel, den Markt längerfristig zu sperren. Dort darben die Landwirte als Folge der Sanktionen, die Russland über Lebensmittelimporte aus der EU verhängte. Jetzt könnte man sich an Brasilien schadlos halten.
Drittens: JBS (Abkürzung für José Batista Sobrinho Sociedade Anónima) ist eine brasilianische Aktiengesellschaft. Sie ist der größte Fleischproduzent der Welt und das größte Fleischverarbeitungsunternehmen in Südamerika. 225 000 Angestellten arbeiten in 240 Schlachthäusern weltweit. Durch Firmenkäufe ist der brasilianische Konzern auch in der Türkei aktiv. Von der Türkei aus könnten unter entsprechender staatlicher Kontrolle der Halal-Markt im Nahen Osten und in Europa bedient werden. Ist erst einmal der neue Grossflughafen von Istanbul in Betrieb, dann wäre er auch ein idealer Umschlagplatz für weisses und rotes Halal-Fleisch.
Fazit: Vorsicht mit einer Vorverurteilung der brasilianischen Fleischwirtschaft. Wir sollten uns daran erinnern, dass auch die EU mehrfach Gammelfleisch-Skandale zu bewältigen hatte, die – relativ betrachtet – wesentlich umfangreicher waren als der jetzige Fehltritt in Brasilien.